Infrastruktur und innovative Mobilität
Mobilität soll Spaß machen!
Mobilität soll Spaß machen!
Pünktlich zum Start des 49-Euro-Tickets spricht Moderator Torsten Knippertz mit der Aachener Oberbürgermeisterin Sibylle Keupen. Sie hat sich nichts weniger als eine Mobilitätswende für Aachen auf die Fahnen geschrieben. Dafür braucht es attraktive Angebote für alle Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer, wie neue Straßenbahnen, Radschnellwege ins Zentrum und eine verkehrsberuhigte, lebenswerte Innenstadt mit Premiumfußwegen sowie viel Raum für Begegnungen. „Wir werden die Mobilitätswende nur schaffen, wenn sie Spaß macht“, davon ist Keupen überzeugt. „Ab jetzt bitte dreimal täglich ÖPNV kann man den Menschen nicht verordnen. Das Umsteigen in den ÖPNV muss von Herzen, aus Überzeugung kommen. Es muss cool sein, es muss modern sein.“
Wichtig ist auch eine Anbindung ans Umland. Das könnte in Zukunft die Regiotram leisten. Wenn aus dieser Idee Wirklichkeit wird, würde in etwa zehn Jahren eine Tram vom Hauptbahnhof Aachen über Würselen und Alsdorf bis nach Baesweiler fahren.
„Die Regiotram zeigt, wie wir den ÖPNV auch in die Region entwickeln können“, so die OB. „Sie ist ein tolles Kooperationsprojekt der beteiligten Kommunen. Alle ziehen da an einem Strang und wollen, dass diese Tram fährt.“
Aber auf dem Weg zur Mobilitätswende liegen auch noch viele Baustellen. Viele Aachener sind deshalb verärgert. Warum die Baustellen notwendig sind und was die Stadt tut, um die Situation zu verbessern, hört ihr in dieser Folge.
Gast: Sibylle Keupen, Oberbürgermeisterin der Stadt Aachen
Moderation: Torsten Knippertz
Mehr Infos zur Regiotram gibt es auf der Aachener Website. Mehr zum 49-Euro-Ticket auch in Kombi mit dem Semesterticket bietet die ASEAG.
Wer bei der Entwicklung von Aachen aktiv mitgestalten will, dem bietet der Bürgertreff „Öcher Lab“ einen kreativen Raum für innovative Ideen. Informationen findet hierzu auf der Homepage oder Kontakt per Mail.
Sybille Keupen: Der öffentliche Nahverkehr im Rheinischen Revier ist auch eine Riesenchance, hier Verbindungen zu schaffen, die noch nicht da sind, Orte miteinander in Kontakt zu bringen. Selbst in der Stadt wollen wir mehr und auf dem Land, da müssen wir noch viel, viel mehr haben. Von daher ist die „RegioTram“ ein tolles Projekt, um zu zeigen, wie wir den ÖPNV auch in die Region entwickeln können. Das ist ein tolles Kooperationsprojekt mit den Kommunen, die an der „RegioTram“ Strecke liegen. Alle ziehen da an einem Strang, wollen, dass diese Tram fährt.
Torsten: Hi und Hallo und herzlich willkommen zu unseren Reviergeschichten. Mein Name ist Thorsten Knippertz. Lang ersehnt - jetzt ist es endlich da, das 49€-Ticket. Seit Mai, ab Mai macht es das Reisen in Deutschland billiger und damit natürlich auch im Rheinischen Revier. Das bringt viele Möglichkeiten, aber auch viele Fragen mit sich und deswegen wollen wir heute unter anderem über Mobilität sprechen. Wir sind in Aachen, wir sind im Rathaus in Aachen, und ich spreche mit der Oberbürgermeisterin von Aachen. Sybille Keupen ist da. Freut mich. Hi, hallo! Schön, dass wir hier zu Gast sein dürfen. Draußen ist das Leben, deswegen kann es sein, dass wir auch ein paar Geräusche hören. Aber so soll das ja auch sein. Mittendrin hier in der Kaiserstadt. Jeder, der schon mal hier war, weiß von der Geschichte, von den Römern, von den Aachener Printen, vom Karlspreis. Vielleicht hat der Eine oder die Andere sogar schon vom „Orden wider den tierischen Ernst“ gehört. Aber auf der Homepage der Stadt steht jetzt ganz dick Mobilitätswende. Da habe ich bisher ehrlich gesagt nicht immer direkt an Aachen gedacht. Ist das Ihr Plan, Frau Keupen, dass Aachen zukünftig in einem Atemzug mit Städten wie Kopenhagen oder auch Münster genannt wird - Städte, die als Fahrradstädte bekannt sind?
Sybille Keupen: Ja, das ist ein Ziel, das wir hier mit sehr viel Kraft verfolgen. Ob wir das mit Münster und Kopenhagen gleichermaßen tun können, da haben wir ja immer ein paar Berge dazwischen. Das macht das Radfahren in Aachen besonders spannend. Aber wir stellen uns der Aufgabe, die Mobilität der Zukunft aufzubauen und das mit aller Kraft.
Torsten: Hat die Nähe zu Kohlerevieren und Tagebauten auch eine besondere Rolle in diesem Zusammenhang?
Sybille Keupen: Ja, Strukturwandel ist das, was uns im Moment in vielen Bereichen begleitet. Wir bauen die Stadt um. Wir sind hier mitten in der Stadt. Wir bauen die Stadt um, von der autogerechten Stadt der 70er, 80er Jahre zu einer Stadt, die lebenswert, sicher, langsamer ist. Das heißt, die Innenstädte verändern sich, die Städte an sich, die Städte sind die Orte der Transformation, des Strukturwandels.
Torsten: Bevor wir ins Detail einsteigen, sprechen wir auch kurz über Sie, wie Sie Oberbürgermeisterin geworden sind. Das ist ja der Hebel, mit dem Sie Mobilitätswende mit Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erreichen wollen. Sie sind als parteilose Kandidatin von den Grünen aufgestellt worden. Wie kam es dazu?
Sybille Keupen: Ja, sehr überraschend für mich. Also das stand nicht auf meinem Lebensplan, aber als ich gefragt wurde von den Grünen, ob ich das machen würde, war eigentlich sofort klar: „Das mache ich jetzt noch mal.“ Ich komme aus der Zeit der großen Bewegungen: Friedensbewegung, Frauenbewegung, Anti-AKW-Bewegung. Und wir haben jetzt viel zu bewegen, um eine Stadt zu bauen, die für unsere Kinder und Enkelkinder lebenswert ist, sicher ist und eine Perspektive hat. Und dafür bin ich angetreten.
Torsten: Was bedeutet Ihnen das? Sie sind, glaube ich, die erste Frau als Oberbürgermeisterin nach, ich glaube 256 Männern.
Sybille Keupen: So ist das. Von daher kann ich natürlich alles anders machen. Es gibt kein Vorbild, es gibt kein Zitat eines Vorgängers. Nur Vorgänger und Frauen dürfen und können und sollen es vor allem anders machen. Und das tue ich auch. Inhaltlich aber auch vom Stil her, wie ich mein Amt angehe. Das tue ich sehr dialogisch, sehr zugewandt. Ich glaube, es ist etwas, was Frauen auch auszeichnet, dass sie die Themen anders anpacken, als Männer das tun.
Torsten: Und sie sind gewählt worden von einer überdurchschnittlich jungen Wählerschaft in Aachen, richtig?
Sybille Keupen: Ja, Aachen ist eine sehr junge Stadt. Wir haben eine exzellente Hochschule, wir haben eine tolle Fachhochschule, wir haben eine katholische Hochschule, Musikhochschule, 70.000 junge Menschen, die studieren und darüber hinaus noch weitere 100.000, die jünger als 28 sind. Das verändert natürlich eine Stadt nicht nur bei der Wahl, sondern das sind auch andere Bedürfnisse an eine Stadt. Das ist eine andere Bewegung in der Stadt. Wir haben viele Fußgänger*Innen, wir haben viele Radfahrer*Innen, das sind junge Menschen, und die wollen natürlich auch gut unterwegs sein. Und viele von denen haben mich gewählt, das hat zumindest die Erhebung des WDR so belegt.
Torsten: An Einigen bin ich eben vorbeigegangen. Vor dem Podcast war ich noch was essen hier, da hat man das gemerkt, wie jung Aachen ist. Ihre wichtigsten Ziele, um es vereinfacht zu sagen: nicht nur die Mobilitätswende, sondern auch Klimaneutralität, richtig?
Sybille Keupen: Genau. Aachen will 2030 klimaneutral werden. Dazu gibt es einen klaren politischen Auftrag. Der war schon da, bevor ich kam. Das ist sehr gut, weil das ist eine Basis, auf der ich sofort aufbauen konnte und auf der auch schon Ressourcen bereitgestellt wurden. Konzepte, Pläne, die wir jetzt mit viel Geld unterlegen und auch anpacken können. Also von daher bin ich sehr gut eingestiegen und jetzt geht es ans Machen und dann Umsetzen.
Torsten: Jetzt bin ich mal ein bisschen böse und sage Mobilitätswende, Klimaneutralität - ich packe noch Nachhaltigkeit dazu. Das liest sich immer super, sowohl bei Unternehmen als auch bei Parteiprogrammen. Was sind da Ihre konkreten Punkte? Was haben Sie vor?
Sybille Keupen: Also mir ist wichtig, dass wir die Stadt zukunftsfähig aufstellen. Und das heißt, wir müssen natürlich den Herausforderungen, die die Zeit mit sich bringt - wir wissen aus dem Starkregenereignissen, dass Klimawandel nicht nur ein theoretisches Konstrukt ist, sondern dass der hier angekommen ist. Das heißt, wir müssen die Städte so bauen, dass das Wasser hier nicht die Keller flutet und die Menschen wegflutet, sondern dass das gut versickern kann. Schwammstadt ist ein Thema, aber auch Hitzestadt. Wie schaffen wir kühle Inseln in der Stadt, so dass die Städte mit der steigenden Hitze auch noch Aufenthaltsqualität bieten? Die Städte werden ein Stück weit, wenn diese Entwicklung so weitergeht - und wir wissen auch, dass wir sie nicht aufhalten können, diese Entwicklung - 2ir können sie abmildern, wenn Städte Oasen werden, wo Menschen auch Kühle finden, wo sie natürlich soziales Leben finden, wo sie Technik, Innovation finden. Städte haben eine ganz wesentliche Aufgabe in der Zukunft. Von daher ist das Amt der Oberbürgermeisterin perfekt für den Wandel, den wir zu bewältigen haben.
Torsten: Jetzt muss ich mal kurz nachfragen. Schwammstadt? Das habe ich noch nie gehört?
Sybille Keupen: Schwammstadt - Sie stellen sich den Boden wie einen großen Schwamm vor, wo nämlich das Wasser dann versickern kann. Wir haben ja viele versiegelte Flächen in der Stadt. Das ist einer autogerechten Stadt quasi in die DNA geschrieben.
Torsten: Wie in meiner Heimatstadt Mönchengladbach.
Sybille Keupen: Ja, herzlichen Glückwunsch. Und jetzt geht es darum, die Flächen zu entsiegeln, damit das Wasser sich speichern kann, damit man Bäume hat, mit eben auch Wasserspeichern, die dann eben in Trockenheiten dieses Wasser wieder abgeben können, sodass wir neue Kreisläufe schaffen, die sowohl die Starkregen-Zeiten, als auch die Trockenzeiten gut miteinander verbinden. Und das ist ganz einfach wie mit dem Schwamm, den wir im Haushalt kennen.
Torsten: Okay, jetzt habe ich es verstanden. Als Oberbürgermeisterin ist man für fünf Jahre gewählt. Ambitioniertes Programm, sage ich mal.
Sybille Keupen: Das ist wenig Zeit für die Veränderungen, die wir vor der Brust haben, weil bis sie mal drin sind, das kann ich jetzt nach fast zweieinhalb Jahren sagen, haben Sie die Dinge mal gut strukturiert aufgesetzt, sie sind drin in der Verwaltung, sie sind drin in der Politik und dann geht es schneller vorwärts. Und dann ist man aber natürlich schon, denkt: Ah, zweieinhalb Jahre, dann ist die nächste Wahl, und du brauchst diese nächsten fünf Jahre, um deine Projekte weiter auf Schiene zu bringen. Und ja, Politik ist auch durch Wahlkampf, durch Kämpfen um Inhalte bestimmt. Und das fängt dann auch schon an. Nach drei Jahren würde ich mal sagen, dass man sich dann wieder so positioniert und das ist für manche Projekte nicht ganz einfach, weil man natürlich dann eher so auf sich guckt als auf das Gemeinwohl.
Torsten: „Auf sich gucken“ ist ein gutes Stichwort. Ich würde gerne mal ganz kurz auf Sie gucken. Sie haben eben schon gesagt, wo Sie herkommen, bewegungsmäßig gesehen. Hatten Sie vorher schon Berührungspunkte mit der Politik oder mit Politik gar nichts zu tun?
Sybille Keupen: Ich bin eine klassische Quereinsteigerin. Ich komme aus dem Kulturbereich, habe eine große Einrichtung geleitet. Also das Leiten einer Organisation war Teil meines Berufslebens. Aber aus dem Kulturbereich.
Torsten: Was war das für eine Einrichtung?
Sybille Keupen: Das war eine Bildungseinrichtung mit dem Schwerpunkt Kultur. Können Sie sich vorstellen wie eine VHS, die aber nur Kunst, Kreativität und Kultur macht.
Torsten: Oh, cool, ich spiele Theater. Von daher.
Sybille Keupen: Ich auch.
Torsten: Also ja, könnten wir uns mal überlegen, welches Stück oder welche Rollen, welche Stücke sich uns bieten?
Sybille Keupen: Ich kann Ihnen verraten, dass das eine ganz gute Voraussetzung für das Amt der Oberbürgermeisterin ist, gewisse Theatertechniken zu beherrschen.
Torsten: Ich habe keine Ambition. Schöne Grüße an Felix Heinrichs im Moment in Mönchengladbach. Nein, also: Wie sind Sie denn dann doch in die Politik gekommen?
Sybille Keupen: Ja, ich war immer ein politisch denkender Mensch. Mir war das Gemeinwohl, die Stadtgesellschaft immer wichtig. Ich habe viele Netzwerke gegründet, in Netzwerken gearbeitet. Und das ist auch das, was mein Amtsverständnis als Oberbürgermeisterin ausmacht: Gemeinsam die Stadt nach vorne zu bringen, Menschen zusammenbringen, die sonst nicht gemeinsam am Tisch sitzen, ihnen die Ängste nehmen, voneinander füreinander gewinnen, um diese Stadt umzubauen. Weil, das kann ich beileibe nicht alleine tun.
Torsten: Jetzt noch mal zu einer kleinen Rubrik, die nennt sich kurz und knackig. Am besten gerne nur einen Satz als Antwort. Wie bewegen Sie sich im Rheinischen Revier am liebsten fort?
Sybille Keupen: Im Geiste. Da sehe ich nämlich die Zukunft.
Torsten: Was ist Ihr Dienstwagen? Benziner oder E-Auto?
Sybille Keupen: E-Auto.
Torsten: Welche Aachener Spezialität ist Ihnen lieber? Printen oder Printenlikör?
Sybille Keupen: Printe.
Torsten: Das kam alles wie aus der Pistole geschossen. Sehr schön. Gar kein Likör-Typ?
Sybille Keupen: Nein, ist mir zu süß.
Torsten: Ja. Okay. Gucken wir mal ins Detail. Jetzt lassen Sie uns mal einen Blick auf die Geschichte von Aachen werfen. Vor dem Zweiten Weltkrieg gab es hier ein riesiges Straßenbahnnetz, eines der größten in Deutschland. Die fuhren sogar bis in die Eifel. Dann wollten die Aachener*Innen keine Straßenbahn mehr. Die Schienen wurden rausgerissen und bis Mitte der 70er, 80er Jahre wurde Aachen zu einer Top Autostadt gemacht. Oh, schon wieder eine kleine Parallele zu Mönchengladbach, sehe ich gerade.
Sybille Keupen: Nein ich glaub´, Hannover ist noch besser.
Torsten: Ja nee, aber die wollten auch irgendwann keine Straßenbahn mehr. Und heute sagt man: Och, hätten wir sie mal doch nicht rausgerissen! Aber war doch so richtig? Und jetzt wollen sie das alles wieder zurückbauen?
Sybille Keupen: Nicht zurückbauen, das wäre ja nicht zukunftsgewandt. Also wir schauen ja jetzt, wie können wir Mobilität in der Stadt gut abbilden? Und wir wissen, deswegen ist es wirklich schade, dass es diese Verbindungen nicht mehr gibt, dass die Zuleitung aus der Region über die Schiene in ganz hervorragender Weise funktioniert. Deswegen sind wir im Moment wieder dabei, eine Tram auf die Schiene zu setzen, eine „RegioTram“, das heißt diese weiten Strecken auch abzubilden. Fast bis Mönchengladbach würde ich sagen. Wir gehen bis Baesweiler und dann schauen wir mal, ob wir übers Rheinische Revier weiterkommen. Also das bringt die Menschen schnell in die Stadt. Das ist der sicherste Weg durch die Schiene, weil wir dann nicht mit den anderen Verkehrsteilnehmenden konkurrieren. Es ist rein von der Anzahl der Menschen, die in den Bussen sitzen, kaum mehr leistbar, die ganzen Busse zu besetzen. Von daher ist die Straßenbahn und das wissen wir auch von den Städten, die Straßenbahnen wieder bauen: Die Menschen fahren gerne mit der Straßenbahn. Wir werden die Mobilitätswende auch nur dann schaffen, wenn sie Spaß macht. Also das ist kein Verordnen von: „Jetzt aber ÖPNV dreimal!“ täglich, sondern das muss von den Menschen aus dem Herzen kommen, aus Überzeugung kommen. Es muss cool sein, es muss modern sein. Das ist die Straßenbahn für bestimmte Verkehrserfordernisse.
Torsten: Es sollte, glaube ich, auch mal so vor zehn Jahren eine Campusbahn bis an den Rand der Eifel geben. Ist das ist richtig?
Sybille Keupen: Das ist richtig. Also vor allem Richtung Hochschule. Ich glaube, dass der Name für die Vermittlung in der Bevölkerung nicht gut gewählt war, weil es schon was Exklusives hat. Ich würde die Tram am liebsten „ÖcherTram“ nennen, weil dann ist natürlich für die Region auch schwierig, deswegen machen wir es jetzt „RegioTram“, weil sie geht ja bis Baesweiler. Das müssen die Menschen annehmen, das wissen wir auch aus großen Straßenbahnprojekten in Lyon zum Beispiel. Das ist ganz wichtig, dass die Menschen das als ihr Thema, als ihr Projekt ansehen. Und das hat man aus meiner Sicht vor zehn Jahren nicht geschafft zu vermitteln. Das ist sehr schade, weil dann hätte sie nämlich heute auf der Schiene gesessen, weil wir brauchen zehn Jahre, bis eine Tram auch fährt. Das ist unwahrscheinlich langwierig, ein solches Projekt.
Torsten: Und wie schafft man das dann jetzt zu vermitteln? Was gibt Ihnen das Gefühl zu sagen: „Jetzt ist die Zeit aber reif“?
Sybille Keupen: Weil wir wissen, dass wir eine andere Mobilität brauchen, also die Menschen. Wir haben 70.000 Pendler-Bewegungen in den Norden, das schaffen unsere Straßen nicht und wir wissen, dass wir die Straßen nicht ausbauen wollen. Also keine weitere Versiegelung. Wir wollen gemeinschaftliche Nutzung von Mobilität. Wir wollen den Mobilitätsmix verändern, so dass 30% der Menschen im Verkehrsverbund unterwegs sind - heißt mit Rad, Fuß, und ÖPNV. Und dafür braucht man die Bahn. Weil wir müssen natürlich die Masse der Menschen auch gut bewegen und das geht am besten in der Tram.
Torsten: Und die Innenstadt soll, glaube ich, auch autofrei werden?
Sybille Keupen: Autoärmer. Wir sehen natürlich die Bedarfe der unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen und es gibt über Liefern und Laden Senioren, die mobilitätseingeschränkt sind und die nicht ohne Weiteres mit dem Bus oder der Bahn fahren können. Das heißt, Erreichbarkeit muss gewährleistet sein. Aber wir wollen nicht, dass die Autos durch die Innenstadt fahren. Das können wir uns sparen. Deswegen wollen wir sie sehr elegant drum herumführen, wollen dort eben auch weiterhin Parkmöglichkeiten bieten, aber vor allem natürlich gute Verbindungen mit dem öffentlichen Nahverkehr, mit dem Rad, mit dem Fußweg. Deswegen Premiumfußweg, ein Konzept, das wir verfolgen, dass Menschen wirklich auf breiten Wegen mit Bänken versetzt mit Bäumen in die Stadt schlendern und dort eine hohe Aufenthaltsqualität haben. Und die haben wir ohne Autos mehr als mit Autos. Wir haben in Corona einfach Parkplätze umgewandelt, in Sitzplätze und Cafeplätze. Das will niemand mehr zurückhaben. Und so müssen wir natürlich die Menschen auch ein Stück weit mitnehmen, die Transformation Schritt für Schritt zeigen, erlebbar machen. Und ich bin überzeugt, wenn die Menschen diese Aufenthaltsqualität erleben, dann sind sie auch dabei, die nächsten Schritte zu geben.
Torsten: Mitnehmen ist ein ganz gutes Stichwort. Wie schaffen Sie es auch, die mitzunehmen, die die Pläne vielleicht trotzdem nicht so toll finden? Weil man macht sich ja logischerweise nicht immer nur Freunde und Freundinnen, mit seinen Ideen.
Sybille Keupen: Ja, das, was wir im Moment vor der Brust haben, ist eine sehr große Veränderung. Also es stellt sehr vieles infrage, was vielen Menschen über Jahrzehnte vertraut war mit dem Auto. Die große Freiheit Auto war das, womit die autogerechte Stadt sich auf den Weg gemacht hat. Und das ist ein Stück, ein großes Stück individuelle Freiheit und deutlich zu machen und auch das Angebot zu schaffen. Das ist das, was eine große Herausforderung ist, dass diese individuelle Freiheit auch im Bus, in der Tram, auf dem Fahrrad zu Fuß gelebt werden kann. Das braucht positive Erfahrungen, Erlebnisse von: „Das ist gut, das macht Spaß“, „Der Bus kommt, wenn ich auf ihn warte.“ Das heißt, der Ausbau des ÖPNV ist ein ganz wichtiges Thema, weil wenn er nicht kommt, der Bus, dann steige ich auch nicht ein. Ist sehr simpel und wenn ich die Erfahrung nicht habe, dass es trotzdem geht, dann gehe ich natürlich wieder zurück aufs Auto, weil es erstmal die große Sicherheit gibt. Von daher braucht es kleine Schritte, Schritte von positiven Erfahrungen, Gespräche, Transparenz. Es ist sehr wichtig, dass wir transparent über unsere Veränderungsprojekte berichten, dass wir sie Schritt um Schritt in die Stadtbevölkerung bringen und dass wir auch hören: „Was wollen die Menschen, wo klemmt es?“, also, dass unsere Planer sich auch, wir haben ja zum Beispiel bei der Umsetzung des Konzepts Schleifen-Erschließung. Das heißt, wie führen wir den Verkehr um die Innenstadt rum, statt in die Innenstadt rein? Versetzen sich unsere Planer und Planerinnen in die Rolle einer jungen Mutter. Also wie kommt sie dann von ihrem Wohnort in die Innenstadt? Wie kommt der Rentner in die Innenstadt? Wie kommt das Kind in die Innenstadt? Das ist auch noch mal eine neue Herangehensweise von Planung. Das ist ganz wichtig, damit wir auch wirklich die differenzierten Bedürfnisse wahrnehmen und in unsere Planungen einbeziehen.
Torsten: Das hört sich nach einer guten Veränderung an, dass man sich auch mal in die Menschen hineinversetzt, dass man sich versucht anzuschauen, wer hat denn da überhaupt welche Bedürfnisse? Was für einige vielleicht herausfordernd sein könnte oder was sich so anhört, sind Baustellen. Also es gibt ja Baustellen und dadurch gibt es auch Baustellen, also echte, die dann vielleicht den bestehenden Verkehr auch noch ein bisschen zähflüssiger werden lassen. Wie können Sie den Menschen da diese Ängste nehmen? Kann man die überhaupt ganz nehmen?
Sybille Keupen: Also im Grunde müssen wir das akzeptieren, weil wir leben in einer Stadt, in der wenig in die Erde geschaut wurde, sagen unsere Straßenplaner. Über Jahre sind wir immer locker drübergefahren, in den 70er Jahre wurde die Tram rausgerissen, die Straße neu gedeckt. Wir haben an vielen Stellen sogar noch das Pflaster unter dem Asphalt und diese Pflastersteine werden zum Beispiel recycelt. Das finde ich großartig. Die werden rausgenommen, eingelagert, glattgeschliffen und dann hier im Altstadtbereich wieder verlegt. Diese Straßen sind halt aus einer anderen Zeit, sind marode, müssen ertüchtigt werden, die Kanäle gehen kaputt. Von daher haben wir viele Dinge, die wir gar nicht steuern können und die einfach uns auf die Füße fallen. Und wir haben die Planungen, die wir aktiv antreiben, Premium-Fußwege ausbauen, Radwege ausbauen, die Straßen neu aufteilen und das bringt Baustellen mit sich. Ich sage aber immer, jede Baustelle verspricht, dass an dieser Straße dann in 30 Jahren nichts mehr gemacht wird. Also das ist ein Invest in die Zukunft, in die nachfolgende Generation, braucht aber auch wieder Kommunikation. Wir machen es hier um die Ecke, Jakobstraße. Da haben wir gerade Regio Netz, also Leitungen erneuert. Wir haben Fernwärme in die Straße gebracht. Das hat das Projekt dann noch mal etwas verlängert, weil Menschen plötzlich gesagt haben: „Oh, Energiepreise gehen in die Höhe, dann schließe ich mich jetzt an die Fernwärme an.“ Haben wir gemacht, weil wir sagen: „Klar, dass wollen wir, wir wollen, dass die Aorta der Fernwärme hier möglichst viele Anschlüsse hat“. Und dann wird die Straße halt mit Bäumen noch mal begrünt. Es kommen Bänke. Das dauert. Aber wenn wir schreiben, machen Schilder mit den Einzelhändlern und sagen die Straße ist erreichbar, die Kanalbauer sprechen mit den Einzelhändlern. Also, das braucht auch eine Begleitung, so eine Baustelle. Wir haben jetzt ein Projekt, da sind Blumen auf dem Asphalt, weil der eh wieder rausgerissen wird. Und deswegen haben wir das Street Art-Projekt gefördert, damit die Menschen sehen: „Ah, hier ist es bunt, hier passiert etwas, das ist nicht nur Baustelle, sondern ist weiterhin eine Geschäftsstraße.“
Torsten: Also ich glaube, dass es auch ganz wichtig ist, ehrlich zu kommunizieren und zu sagen: „Ja, es wird hier und da vielleicht auch mal zwacken“, aber nur so schafft man es, glaube ich dann, die Menschen auch mitzunehmen. Damit die Menschen auch bereit sind, aufs Auto zu verzichten, muss es ja attraktiver sein, mit Bus, Bahn, Fahrrad zu fahren. Da ist ein Hebel oft der Preis. Jetzt gibt es ja ganz frisch das 49€ Ticket. Bin gespannt, wie das funktioniert und hoffe es sehr. Was bedeutet das konkret für Aachen, glauben Sie, das funktioniert?
Sybille Keupen: Es ist auf jeden Fall erst mal gut, dass wir ein einheitliches Ticket haben, weil dieser Preisdschungel des öffentlichen Nahverkehrs ist kaum mehr zu durchdringen gewesen. Von daher ist es eine gute Marketingkampagne auch für den öffentlichen Nahverkehr. Er macht es einfacher. Für uns als Kommune ist es nicht so einfach, weil mit den Entlastungen, die wir dann über die nächsten zwei Jahre bekommen, wird der Betrieb natürlich des öffentlichen Nahverkehrs auch weiter gesichert. Aber wie ich eingangs schon sagte: Der Ausbau, der für uns ganz wichtig ist, also mehr Taktung, das ist ein ganz großes Thema, das wir morgens früh und abends spät haben wir die Hochnutzungszeiten, die werden auch gut bedient, aber dazwischen eben nicht. Und dann stehen sie an der Bushaltestelle und es kommt kein Bus. Das darf nicht sein. Wir brauchen starke Achsen, die eben eine schnelle Taktung haben. Wir brauchen Tangentialverbindungen, dafür brauchen wir mehr Busse, mehr Fahrer und Fahrerinnen. Wir brauchen Bevorrechtigungen auf den Straßen. Das ist große Infrastruktur. Das ist die Schiene ist weg, das war die Bevorrechtigung. Das heißt, wir müssen gucken, wie kriegen wir die Busse schnell durch die Stadt. Da müssen wir Systeme entwickeln, dafür brauchen wir Geld. Und das ist leider jetzt in dem Paket 49€ nicht drin. Es ist sicher, dass wir nicht mehr zahlen, als wir jetzt zahlen, dass eben Einnahmeverluste kompensiert werden für die zwei Jahre. Als Städte brauchen wir diese Infrastrukturmaßnahmen, um den ÖPNV attraktiv zu machen. Von daher: erster Schritt super, das hätte auch niemand gedacht, dass das gelingt. Man hat da auch echt viel drum gerungen zwischen Ländern und Bund, mit uns als Kommune, mit den Verkehrsverbünden. Aber der Knoten ist, glaube ich, jetzt gelöst, und das müssen wir als positiven Impuls auch für den öffentlichen Nahverkehr wahrnehmen. Ich denke, es wird auf jeden Fall dazu führen, dass Menschen umsteigen. Das haben wir mit dem Neun-Euro-Ticket auch gemerkt. Die Menschen haben es ausprobiert, aber da müssen wir auch liefern, das wirklich gut ist.
Torsten: Was passiert denn mit dem Semesterticket bei den vielen Student*Innen, oder auch mit den Mitarbeiter*Innen der Stadt - 5600 roundabout?
Sybille Keupen: Da arbeiten wir noch dran. Da gibt es noch keine befriedigende Lösung, weil natürlich die soziale Kompensation des 49€ Tickets wichtig ist, dass das Ticket jetzt nicht teurer ist, als vorher für Arbeitnehmende und für Studierende. Aber da wird man eine Lösung finden. Da bin ich sehr optimistisch, weil man wird sie nicht verlieren wollen. Wir haben das Jobticket für alle Beschäftigten der Stadt angeboten und auch abgenommen und es gibt teilweise auch schon große Arbeitnehmerinnen, die wir gewonnen haben, wo es Sinn macht - Jobticket, damit wir Einnahmen für den öffentlichen Nahverkehr haben, damit es einfach auch selbstverständlicher Bestandteil eines Arbeitsvertrages ist, wie das in Frankreich ist. Da gibt es zum Beispiel die Finanzierung des ÖPNV auch über Unternehmensabgabe. Das ist im Grunde ein Jobticket fest im Tarif verankert. Das wäre eine Lösung für uns, wo wir sagen, da können wir auch für Berufstätige entsprechend attraktive Angebote machen und aber auch Einnahmen für den Ausbau generieren. Also da sind wir noch lange nicht am Ende, was die Finanzierung des öffentlichen Nahverkehrs und auch die Kundenfreundlichkeit im Ticket angeht.
Torsten: Ja, Stichwort: Kundenfreundlichkeit. Ein Thema haben Sie ja eben schon angesprochen. Wenn man dasteht, will man, dass ein Bus kommt. Das ist natürlich in der Stadt so, aber auch gerade im Umland. Wir haben in einer der letzten Folgen in unseren Reviergeschichten gerade darüber auch schon mal gesprochen. Dann nutzt mir das schönste 49€ Tickets nicht, wenn da keine Haltestelle, kein Bus, keine Bahn fährt, wenn ich es jetzt brauche. Wie optimistisch sind Sie da, gerade was das Umland betrifft? Das Rheinische Revier hat viel Umland.
Sybille Keupen: Das ist richtig. Das hat aber auch viel Potenzialland würde ich mal so sagen. Also es ist auch Strecke, die wir gestalten können. Also der öffentliche Nahverkehr im Rheinischen Revier ist auch eine Riesenchance, hier Verbindungen zu schaffen, die noch nicht da sind, Orte miteinander in Kontakt zu bringen. Wir wissen, dass natürlich der ÖPNV auf dem Land nicht so ist, wie wir uns den wünschen. Also selbst in der Stadt wollen wir mehr und auf dem Land, da müssen wir noch viel, viel mehr haben. Von daher ist die RegioTram ein tolles Projekt, um zu zeigen, wie wir den ÖPNV auch in die Region entwickeln können. Das ist ein tolles Kooperationsprojekt mit den Kommunen, die an der RegioTram Strecke liegen. Alle ziehen da an einem Strang, wollen, dass diese Tram fährt, um die Region besser zu verbinden. Die Menschen leben in der Region und sie arbeiten in der Region. Sie konzentrieren sich natürlich auf Oberzentren wie Aachen und Mönchengladbach und müssen da aber auch hinkommen. Und zwar schnell, pünktlich und mit einem hohen Komfort. Das heißt WLAN in den Bussen, in Bahnen, komfortable Sitze. Das ist auch ein Thema. Wie können Arbeitgeber diese Wege auch attraktiv gestalten? Also dass jeder alleine im Auto sitzt, dass überhaupt nicht effizient, dass macht doch keinen Spaß.
Torsten: Das stimmt. Springen wir vom Umland mal wieder in die Stadt. Auch da haben Sie eben schon ein kleines Stichwort gegeben, nämlich die Einzelhändler, die sagen ja wahrscheinlich so, ja, so eine Innenstadt ist nur interessant und attraktiv, wenn man auch mit dem Auto hinkommt.
Sybille Keupen: Ja, das ist das Mindset der 70er, 80er. Wenn wir in dieses Mindset zurückgehen, hat man, als die Fußgängerzonen in dieser Zeit entwickelt wurden, gab es Proteste der Handelsverbände, weil sie sagten, das ist der Tod des Handels. Also das heißt, Wandel ist immer auch eine Herausforderung und man schaut sich ihn auf der Folie an, die man kennt. Und das heißt, das, was wir jetzt vor haben mit der Stadt, den Umbau der Stadt, das heißt nicht mehr die Stadt des Einkaufens. Ich sage, jeder Leerstand, den wir hier haben, ist auch verursacht durch die Menschen, die online kaufen. Das heißt, wenn die Menschen in der Stadt kaufen, wird es auch weniger Leerstand geben. Aber das ist nicht alleine, es wandelt sich. Es wird weniger Handel in der Stadt geben, da sind die Fachleute sich einig. Wir haben einen hohen Wunsch der Menschen nach Aufenthaltsqualität, wenn wir hier auf den Markt gucken. Das ist explodiert in der Corona Zeit. Die Außengastronomie, also die Menschen, haben ein hohes Bedürfnis, sich in der Stadt auch zu treffen, Stadt sozial zu erleben, also Stadt als Begegnungsraum, als sozialer Raum. Wir haben viele Menschen, die alleine leben, auch in der Stadt, in Aachen, über 50%. Das heißt, der öffentliche Raum bekommt eine ganz neue Funktion, eine Funktion des Marktplatzes, des Sozialraums, den wir eben so auch gestalten wollen, dass er diese Aufenthaltsqualität hat, dass ich nicht Angst haben muss, wenn ich mit dem Kind an der Hand in der Stadt bin, dass ein Auto das Kind überfährt oder ein Bus vorbeifährt, sondern dass ich das Kind laufen lassen kann, dass ich mit dem Kind Fahrradfahren lernen kann, in der Stadt.Und das höre ich auch von vielen jungen Familien, die aus der Universität hier in Aachen auch bleiben mit ihren Familien. Die wollen, dass die Kinder sicher in der Stadt aufwachsen, die wollen ein urbanes Umfeld mit Grün. Wir haben hier den Elisengarten, eine tolle Fläche, wo die Menschen sich im Sommer auf die Stufen setzen, wo sie sich begegnen. Also auch konsumfreie Räume. Und diese werden wir weiterentwickeln. Wir haben verschiedene Projekte. Am Büchel haben wir ganz exemplarisch ein Parkhaus abgerissen. Seit 30 Jahren wird über dieses Parkhaus diskutiert, jetzt ist es weg und dort entsteht jetzt erst mal eine Wiese. Die Planer haben sich entschieden dort eine Grünfläche, eine städtische - Stichwort Schwammstadt - kühle Insel in der Stadt, die aber arrondiert wird mit neuen Gebäuden, die Wissen, Wohnen und Wiese verbinden. Und am Theaterplatz werden wir auch einen Platz schaffen, der eben autofrei ist, wo Menschen zusammenkommen können und einfach gemeinsam plaudern, sich die Stadt ansehen, ins Theater gehen, aus dem Theater rauskommen und sich eben wohlfühlen in der Stadt.
Torsten: Also das Stadtklima soll insgesamt verbessert werden?
Sybille Keupen: Genau, in allen Dimensionen. Also sei es jetzt vom Wetter bis hin zum guten Miteinander. Das macht eine Stadt aus. Also die Stadt ist ja da, wo Menschen zusammenkommen, wo sie dicht zusammenleben. Und das ist eine Herausforderung, dieses Leben in der Dichte gut zu gestalten.
Torsten: Also insgesamt kann man sagen: wird grüner?
Sybille Keupen: Es wird grüner, es wird ruhiger, es wird bunter, es wird einen bunten Nutzungsmix geben. Das heißt, neben dem Handel werden wir, wir haben eine Hochschule, die immer Räume sucht, damit Studierende lernen können, Lernräume, kleine einzelhandelsgeführte Geschäfte, aber auch Geschäfte des täglichen Bedarfs. Das heißt, die Menschen leben in der Stadt, wollen dort auch eine Nahversorgung haben. Gewerbe in der Stadt, Kultur in der Stadt, also das ganze pralle Leben mitten in der Stadt.
Torsten: Sie bieten mir immer wunderbare Elfmeter, die ich versuche dann reinzumachen, Nahversorgung. Da gehe ich jetzt mal auf Energie. Wie soll Aachen in Zukunft energiemäßig versorgt werden?
Sybille Keupen: Am besten durch Fernwärme aus regenerativen Energiequellen. Da arbeiten wir dran. Wir haben Wärmenetzplanungen im Moment, dass wir bestimmte Quartiere jetzt schon identifizieren. Und immer dann, wenn wir eh in die Erde müssen, sagen, dann machen wir auch Fernwärme rein, weil das ist das, was wir auf Zukunft hin brauchen. Wir wissen, dass die Verbrenner auch im Haus nicht mehr auf Dauer bestehen können. Das heißt, wir brauchen alternative Versorgung. Das ist in der Stadt eine gemeinschaftliche Versorgung und das wollen wir über Fernwärme, die wir dann eventuell aus der Abfallverbrennung oder aus anderen regenerativen Quellen speisen, durch die Stadt führen.
Torsten: Zusammenarbeit ist wahrscheinlich auch wichtig als Grenzstadt mit Belgien und den Niederlanden, oder?
Sybille Keupen: Unbedingt. Das ist das, was Aachen besonders macht. Das ist ein Alleinstellungsmerkmal, das uns ganz besonders Freude macht. Weil wir müssen nicht in Urlaub fahren, wir hüpfen einfach über die Grenze und haben eine andere Kultur vor uns, aber auch was die Innovationsprozesse angeht, andere Herangehensweisen. Wir arbeiten sehr eng mit unseren Nachbarn, Nachbarinnen zusammen, vor allem, wenn es um die großen Themen geht. Also auch Mobilität über die Grenze ist noch lange nicht da, wo wir sie haben wollen. Also da ist die Grenze noch ziemlich manifest, im wahrsten Wortsinn. Aber wenn wir nach Niederlande schauen, Genehmigungsverfahren, Windräder, das geht dort wesentlich einfacher. Wir haben von unserem städtischen Energieversorger, betreiben wir Windräder in den Niederlanden, also da geht das sehr flüssig und das ist auch eine große Bereicherung hier für die Region und für die Stadt Aachen.
Torsten: Aber mobilitätsmäßig ist noch Luft nach oben, höre ich raus?
Sybille Keupen: Absolut, absolut.
Torsten: Gibt es trotzdem vielleicht irgendein Positivbeispiel, wo ein zartes Pflänzchen mobilitätsmäßig ist, was man noch gießen könnte?
Sybille Keupen: Also wir haben die Anbindung inzwischen nach Maastricht mit der Bahn, das ist großartig. Wir haben ein Ticket, was keine Grenzen kennt. Das ist ein I-Ticket, was in die Umsetzung geht. Das ist knapp davor. Und es gibt große Pläne, Den Haag - Aachen den ICE fahren zu lassen. Da arbeiten wir sehr eng mit den Niederländern zusammen, dass dann wirklich auch ein Regierungsprojekt. Das hätten wir gerne, dass man wirklich dann auch über die Grenze schnell aus dem Norden der Niederlande in das Herz Europas und dann auch natürlich nach Köln, Düsseldorf überall hinkommt, wo man hinkommen will.
Torsten: Ansonsten steigen ja auch immer mehr Menschen gerne aufs Fahrrad um, egal jetzt, ob mit elektrischer Hilfe oder wirklich nur mit Muskelkraft. Hier in Aachen wird es viele Menschen geben, die auf dem Fahrrad fahren, das ist in Studentenstädten ja so. Was ist da konkret geplant, vielleicht auch über die Grenzen hinaus. Gibt ja auch Fernfahrradwege, wie genau gibt es da Planung?
Sybille Keupen: Also, es gibt in den Norden über Herzogenrath Richtung Niederlande auch den Schnellradweg. Das wird so eine richtige Fahrradpromenade, würde ich sagen. Ich will jetzt nicht Autobahn sagen, sondern es ist ja eine breite Fahrradstrecke, wie wir sie aus den Niederlanden kennen, mit zwei Spuren mit Durchfahrt auf Kreuzungen. Das ist ein Projekt, was schon sehr lange in der Planung ist. Aber wir haben da jetzt die letzten Hürden, glaube ich, genommen und das sieht ganz gut aus. Das wird auch noch mal die Strecke nach oben, sage ich jetzt mal vom Zentrum her gedacht. Wir haben den Plan, Rad-Vorrangrouten als sternförmige Bewegung in die Stadt anzulegen. Davon sind schon zwei sehr weit, die anderen in der Planung. Das heißt, man kommt aus den Außenbereichen mit einer Rad-Vorrangroute, die dann auch entsprechend schnell ist in die Stadt, die sicher ist, die markiert ist, die eben auch weniger Verkehr hat. Das ist unser Konzept. Einmal das Fahrrad-Vorrangsystem und die Premium-Fußwege auch sternförmig vom Außenbereich, also so, dass wir den Umweltverbund auch die besten Wege bereiten, denn nur dann werden die Menschen diese auch nutzen.
Torsten: Ja dann werden sie sie nutzen und machen sozusagen mit. Und da sind wir beim nächsten Stichwort. Sie haben eine Idee von der Mitmachstadt. Was muss ich mir darunter vorstellen?
Sybille Keupen: Ja, die Aufgaben sind so zahlreich, die wir im Moment haben, dass wir darauf angewiesen sind, dass die Menschen mitmachen, aber und vor allem die Menschen mit im Boot sind, denn gemeinsam rudert sich besser. Und von daher ist mein großes Anliegen der Dialog mit der Bevölkerung, der Austausch, weil wir sehr viel Potenzial in der Stadt haben. Die Hochschule, wahnsinnig schlaue Köpfe hier in Aachen, aber auch Menschen, die im Handwerk engagiert sind, die in den Betrieben engagiert sind. Viele Startups, die hier in Aachen mit ganz innovativen Ideen sich auf den Weg machen, aber auch die Eltern, die Senioren, Seniorinnen, die ihre Belange einbringen wollen. Und wir werden nur richtig gut, wenn wir es gut mit allen kommunizieren und wenn wir gemeinsam auf ein Zielbild entwickeln. Und das arbeiten wir gerade aus in Workshops mit verschiedenen sogenannten Stakeholdern, wie ich sie gerade auch benannt habe, um zu gucken, wie sieht die Stadt aus? Weil wenn wir ein gemeinsames Bild haben, dann können wir uns auch bewegen, weil wir wissen, wohin wir gehen und gehen nicht in alle Himmelsrichtungen, sondern auf ein Ziel hin. Und dann werden wir dies auf jeden Fall auch schneller und besser erreichen, weil alle dabei sind. Wir möchten, ich möchte niemanden an der Seite stehen lassen, weil Stadt ist ein Gemeinschaftsprojekt. Stadt lebt durch die Menschen, die dort leben und es sind alle Menschen, egal wo sie leben, wie sie leben und woher sie kommen.
Torsten: Jetzt haben wir viel über das Thema Mobilität und Beteiligungsmöglichkeiten für Aachen gesprochen. Wenn wir jetzt noch mal auf den Strukturwandel insgesamt schauen. Wie stellt sich Aachen dafür auf und welche Rolle spielt Mobilität vor allem für einen erfolgreichen Strukturwandel?
Sybille Keupen: Also Mobilität ist der Motor, aber nicht mehr als Verbrennung, sondern als Beschleuniger für den Strukturwandel, weil der Ausstieg der Kohle natürlich auch den absoluten Wandel der Energie mit sich bringt. Und dafür muss Mobilität auch sich anders aufstellen. Also rein was den Energieverbrauch angeht. Da brauchen wir intelligentere, ressourcensparendere Fortbewegungsmittel aber auch! Und Strukturwandel heißt natürlich auch: Wie verbindet sich dieses Gebiet neu? Also wie schaffen wir Verbindungen, die vorher nicht relevant waren, weil wir eben durch den Ausstieg aus der Kohle auch eine ganze andere Konfiguration dieser Fläche hier haben? Und von daher müssen wir uns natürlich da auch die Frage stellen: Wie bringen wir die Menschen von A nach B, wo vorher A noch gar nicht da war, weil dort gebuddelt wurde? Und wie verbinden wir diese Region enger miteinander? Weil in der Verbindung können wir dann auch neue Strukturen aufbauen, die Arbeitsplätze schaffen, die die Menschen von ihrem Wohnort zum Arbeitsort bringen. Und das wird eher eine regionale Frage sein als eine, die sich nur in den einzelnen Kommunen abspielt.
Torsten:Wie stellt sich Aachen dafür auf? Wie ist Ihre Vision von der Stadt und von der Region Aachen und dem Rheinischen Revier in zehn Jahren?
Sybille Keupen: Also das ist eine Stadt, die zeigt, dass sie Wandel kann, wo es einige Referenzprojekte gibt, wo wir zeigen, dass es sowohl zivilgesellschaftliche Projekte gibt, die diesen Wandel gestalten. Zum Beispiel haben wir unser Bächeprojekt, ein Verein, der die Bäche nach oben bringen will. Und wir haben jetzt mit der Stadt und zum Glück auch mit Bundesmitteln, die wir bekommen haben, die Möglichkeit, dieses Projekt auch wirklich in die Umsetzung zu bringen. Das ist für mich ein tolles Projekt, wo Zivilgesellschaft quasi den Impuls gegeben hat und Verwaltung den Impuls umsetzt. Wir haben es geschafft, die Innenstadt als lebenswerte Stadt des Schlenderns für alle Menschen, alle Generationen umzugestalten. Es ist ein Magnet, der die Menschen auch anzieht. Die Innenstadt ist ein Brennpunkt für die Stadt, ein Marktplatz und dieser wird lebendig sein. Er wird bevölkert sein von den Menschen, die in der Stadt sind, ob jung oder alt, Studierende oder Rentner oder Rentnerinnen und es wird eine Stadt sein, wo man gesagt hat: „Warum haben wir uns eigentlich so Gedanken gemacht vor fünf Jahren? Das ist doch alles wunderbar und ich weiß gar nicht, warum wir so eine Angst hatten, mit dem Auto nicht mehr in die Stadt zu fahren.“
Torsten: Das hört sich nach einer sehr schönen Vision an, also eine Stadt, in der man gerne leben möchte. Einige Anregungen kamen schon von Menschen. Was wünschen Sie sich noch von den Menschen? Weil wenn ich sie richtig verstanden habe, braucht man auch Ideen, Mitmachen von genau eben diesen.
Sybille Keupen: Ja, wir haben natürlich die Hochschule als Wahnsinnstreiber. Das ist wirklich mit Ihrer Exzellenz ein toller Partner an unserer Seite, weil dort viele Innovationsprojekte auch gemacht werden. Und wir wünschen uns und daran arbeiten wir auch, dass Institute in die Stadt kommen, dass Institute auch sich beteiligen an diesem Austausch mit der Bürgerschaft, zum Beispiel beim Thema Energie, wie können wir Energie der Zukunft gestalten, dass wir dort miteinander diese Dinge behandeln, denn die Hochschulen brauchen auch diesen Resonanzraum der Stadt. Denn was ist Forschung und Innovation, wenn sie nicht zur Anwendung kommt? Deswegen ist die Stadt quasi der Anwendungsort und die Hochschulen sind sehr interessiert, mit uns gemeinsam auch solche Werkstätten zu eröffnen, wo wir Stadt und Hochschule zusammenbringen und dort die Innovation von morgen auf den Weg bringen. Und ich wünsche mir, dass wir das auch zeigen in der Stadt, dass wir hier intelligente Fortbewegungsmittel haben, die vielleicht noch gar nicht in Serie gegangen sind, sondern dass die Menschen das quasi sich auch als Ausprobierer und -probiererinnen begreifen und Lust auf Innovation haben und mitmachen.
Torsten: Sind Sie optimistisch?
Sybille Keupen: Absolut!
Torsten: Jemand wie ich, der aus dem Rheinischen Revier kommt, genauer gesagt aus Mönchengladbach, aber wenn jetzt jemand aus dem Rheinischen Revier zum allerersten Mal nach Aachen kommt und einen Tag hier hat, was muss der alles machen?
Sybille Keupen: Ja, er muss natürlich zuerst mal den Dom und das Rathaus besuchen. Das ist die Wurzel, da kommen wir her. Das ist das große historische, europäische Erbe Karls des Großen. Das muss man natürlich erst mal mitnehmen. Und dann gibt es ganz viele spannende kleine Hotspots, die einen Besuch wert sind. Das sind die Bäche, die offengelegten Bäche, das sind unsere Plätze in der Innenstadt, der Büchel im Moment als Zwischenzeit, wo wir quasi eine fertige Zwischennutzungsfläche hergerichtet haben, die wir jetzt öffnen für die Menschen, um dort zu spielen, Kultur zu machen, Festivals zu machen, um zu zeigen, wie Stadt geht, sich da einfach ein Stück weit an den Rand oder mittenrein setzen und gucken, was Aachen so alles ausprobiert. Dann würde ich einen leckeren Kuchen und eine Printe empfehlen oder andere Leckereien, die wir hier haben. Wir haben viele europäische Lebensmittel, die es nur in Aachen gibt. Das ist im Moment etwas fleischlastig, da arbeite ich noch dran. Es gibt den Puttes, die Blutwurst.
Torsten: Puttes heißt das?
Sybille Keupen: Genau.
Torsten: Okay.Das habe ich noch nie gehört, Puttes.
Sybille Keupen: Genau Puttes. Dann gibt es die Öcher Weihnachtsleberwurst ist auch als europäisches uniques Lebensmittel eingetragen, die Printe natürlich.
Torsten: Die kenne ich.
Sybille Keupen: Und dann haben wir noch die Karlswurst, die immer beim Karlsfest im Rathaus mit Karls Kräutergarten verspeist wird. Also wir sind kulinarisch sehr traditionsreich und auch einzigartig.
Torsten: Die Karlswurst, ist was zum Streichen oder wie eine Bockwurst oder Bratwurst?
Sybille Keupen: Eine grobe Mettwurst mit Kräutern aus dem Garten Karls des Großen.
Torsten: Okay, habe ich auch das erste Mal gerade gehört. Da wurde es Zeit. Ja, ich habe eine besondere Beziehung zu Aachen, weil ich dort die Band gesehen habe, die mein ganzes Leben begleitet hat im Eurogress in Aachen. In den 80er war es noch, die Ärzte haben damals da gespielt und deswegen werde ich Aachen auf immer dankbar sein.
Sybille Keupen: Genau. Kultur wäre nämlich das, was ich nach dem Essen empfehlen würde. Wir haben ein großartiges Theater, wir haben eine tolle freie Kulturszene im Sommer, Stadtglühen in der Stadt, also ganz viel freie Kultur auf der Straße. Und damit würde ich dann den Tag ganz entspannt und lauschig ausklingen lassen.
Torsten: Ja, mit einem Tag kommt man, glaube ich, sowieso nicht aus, so viele Sachen hier zu sehen. Ja, vielen, vielen Dank. Dankeschön. Sybille Keupen. Hoffen wir, dass viele AachenerInnen sich aktiv einbringen. Und ja, also wenn es Ideen gibt von denen, die hier zugehört haben, dann packt man natürlich auch alles in die Shownotes, wo man sich hinwenden kann. Sie sind wahrscheinlich offen für Vorschläge.
Sybille Keupen: Absolut. Wir haben mitten in der Stadt eine ehemalige Bäckerei in ein Öcher Lab umgewandelt. Dort gibt es den Bürgertreff. Dort können Menschen jederzeit vorbeikommen, ihre Ideen einbringen. Wir sammeln gerade Ideen für die Innenstadt. Morgen also acht. Es ist eine Transformation statt im Dialog.
Torsten: Vielen, vielen Dank.
Sybille Keupen: Gerne.
Torsten: Und damit sind wir auch schon am Ende unserer heutigen Episode der Reviergeschichten. Vielen, vielen Dank fürs Zuhören. Gerne weitererzählen - Familien, Freunden, Bekannten - den Podcast abonnieren. Dann gibt es die neueste Folge immer automatisch aufs Ohr und beim nächsten Mal natürlich gerne wieder reinklicken. An jedem zweiten Mittwoch im Monat gibt es eine neue Folge. Schreibt uns auch gerne eure Themen oder Vorschläge, wen wir vielleicht mal einladen sollen. E-Mail steht ebenfalls in den Shownotes und wer mehr über das Projekt und auch die Projekte, über die wir hier sprechen, wissen möchte, der findet alles Wichtige in den Links. Tschüss! Bis zum nächsten Mal. Gibt es eigentlich irgendwas Spezielles, was man in Aachen zu Tschö sagt?
Sybille Keupen: Adieda
Torsten: Da ja. Dann sage ich mal Adieda! Euer Torsten Knippertz. Tschau, Ole, ole!